24. Oktober 2025
Fotojournalismus

Selina Pfrüner sucht nach Bildern, die verbinden statt spalten

Als Fotojournalistin und Dokumentarfotografin möchte Selina Pfrüner gesellschaftliche Themen sichtbar machen – von Kinderarmut bis Sterbehilfe. Ihr Beruf fordert sie immer wieder heraus, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Perspektiven einzunehmen. Im Gespräch erzählt sie, warum sie ihre Arbeit regelmäßig über Grenzen führt – und was sie daraus lernt.

Werksgelände: Was macht man eigentlich als Fotojournalistin und Dokumentarfotografin?

Selina Pfrüner: Als Fotojournalistin und Dokumentarfotografin mit Sitz in Köln, arbeite ich bundesweit für Magazine, gemeinnützige Organisationen und Unternehmen. Mein Fokus liegt auf Portraits und Reportagen, besonders zu sozialen, gesellschaftlichen und Nachhaltigkeitsthemen. Mit einer klaren und authentischen Bildsprache vermittle ich komplexe Inhalte verständlich und mache sie emotional zugänglich.

Mein Ziel ist es, mit meinen Bildern Geschichten zu erzählen, die zum Nachdenken anregen und uns stärken – gerade dann, wenn die Welt chaotisch erscheint. Ich möchte Themen sichtbar machen, die oft übersehen werden, und dabei einen Blickwinkel finden, der verbindet statt spaltet. In meinen Projekten geht es mir darum, Menschen in ihrer Einzigartigkeit zu zeigen und Vorurteile abzubauen: etwa in Blinde Expertin, wo ich eine Frau portraitierte, die nicht trotz, sondern wegen ihrer Behinderung eine besondere Begabung mitbringt. Oder in Munaqabba, wo ich dazu einlade, mit statt über Frauen in Vollverschleierung zu sprechen – besonders dort, wo Angst und Vorurteile die Diskussion prägen.

Meine Arbeiten entstehen oft aus dem Wunsch, Alltägliches und scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen und neu zu betrachten: Einbettzimmer zeigt private Schlafräume von katholischen Priestern und fordert durch die eigene Erwartungshaltung das Gesehene heraus. Wohlbemerkt, entstanden noch vor dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle. Weitblick fragt nach der Verbindung von Arbeit und Identität, gerade in Zeiten von Lebensumbrüchen. Während der Pandemie entstand „Corona Dailies“, ein poetischer, manchmal humorvoller Versuch, in unsicheren Zeiten Halt zu finden, ohne die düsteren Momente auszusparen.

Am wichtigsten ist mir, dass meine Bilder nicht nur zeigen, was ist, sondern auch, was uns verbindet und wie wir gemeinsam einen positiven Blick auf die Welt bewahren oder wiederfinden können.

- Selina Pfrüner

Welche Erfahrungen oder Talente sollte man für den Job mitbringen?

Grundvoraussetzung ist natürlich, die technischen und gestalterischen Aspekte so zu beherrschen, dass man überhaupt nicht mehr darüber nachdenken muss. Die Bereitschaft, ständig dazu zu lernen: technisch, inhaltlich, an unterschiedlichen Perspektiven und Lebensrealitäten immer wieder frische Inspirationen einholen. Der Job erfordert viel Ausdauer, einen langen Atem, gute Selbststrukturierung, gesunde Routinen und am wichtigsten ein angemessenes Pausenmanagement sowie die Fähigkeit, NEIN zu sagen.

Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, zwischenmenschliche Verbindungen zu knüpfen. Mir ist sehr wichtig, egal in welchem Kontext, Menschen stets auf Augenhöhe zu begegnen. Die Fähigkeit, schnell vertrauensvolle Räume zu schaffen und eine angenehme, verbindende Atmosphäre herzustellen, sind dabei essenziell. Dabei helfen aktives Zuhören und ein ausgeprägtes Empathievermögen, um anschließend Gesagtes, Gehörtes und Wahrgenommenes kreativ zu verbinden. Kritisches ebenso wie lösungsorientiertes Denken sind von großem Vorteil. Es bedarf kontinuierlicher Selbstreflexion, auch der eigenen Bias, Stereotypen und Vorurteile. Humor und Lebensfreundlichkeit bewahren Leichtigkeit, Begeisterungsfähigkeit erhält die Neugier.

Was reizt Dich an Deinem Beruf?

Das ständige „Sendung mit der Maus“-Gefühl beglückt mich. Mein Beruf ermöglicht mir Einblicke in Welten, Prozesse und Gedanken, Kulturen, Gesellschaften und Lösungsansätze. Durch meine abwechslungsreichen Aufträge darf ich spannende Orte und Menschen kennenlernen und an erkenntnisreichem Austausch teilhaben. Mein Job trainiert mich darin, immer wieder meine Komfortzone bzw. Filterblase zu verlassen. Mit der Bereitschaft zur Offenheit können diese Begegnungen zur eigenen Horizonterweiterung beitragen, durch die ich Vielfalt immer wieder als Mehrwert erfahre.

Meiner Meinung nach braucht es genau diese Vielfalt, um die komplexen Probleme unserer Zeit zu lösen. Ich empfinde es als sinnstiftend, über meine fotojournalistische Arbeit ausgewählten Geschichten, wie z.B. über Gewalt gegen Frauen, mehr Sichtbarkeit bzw. Aufmerksamkeit zu verleihen und den notwendigen politischen sowie gesellschaftlichen Wandel damit voranzutreiben.

Was sind die größten Herausforderungen in Deinem Job?

Klar, Zeitdruck bei Terminen oder schweres Equipment schleppen ist nervig. Noch viel drastischer sind allerdings die in den letzten Jahren sinkenden Honorare im Fotojournalismus, das sogenannte Print- bzw. Verlagssterben, sprich dass viele Magazine und damit Auftraggebende weggebrochen sind. Die verbleibenden werden mit hochprofessionellen Kolleg:innen geflutet, u.a. auch aus anderen Fotobereichen, die stark durch die Konkurrenz von Künstlicher Intelligenz betroffen sind. Talentierter Nachwuchs, der noch ungeschult in der für die Selbstständigkeit notwendigen Kostenbedarfe ist, trägt leider unbewusst zum Preisverfall bei. Daher ist es mir ein großes Anliegen, weiterhin Kurse zur Professionalisierung an Hochschulen wie der FH Dortmund, HS Bielefeld und anderen Bildungsinstitutionen abzuhalten, in denen wir uns ausführlicher u.a. über Themen wie Preisgestaltung und Honorare verhandeln widmen.

Der digitale Wandel im Journalismus hat leider noch keine hinreichend nachhaltigen Bezahlmodelle entwickelt und kann sich kaum durch Online-Abos tragen. Werbeeinnahmen sind zu einem Großteil an die Social Media- und Big Tech-Unternehmen abgewandert, die ebenfalls die Sichtbarkeit von Online Content nahezu monopolisieren. So stehen kostenlose, nicht-kuratierte und nicht-faktengecheckte Social Media-Contents in starker Konkurrenz zum journalistischen Angebot und werden gleichzeitig durch ihre oftmals spaltenden und empörungsfördernden Narrative vom Algorithmus bevorteilt und verstärkt. Für eine funktionierende Demokratie braucht es u.a. einen starken und unabhängigen Journalismus. Um neue Finanzierungsmöglichkeiten dafür zu etablieren, setze ich mich mit der Laif Genossenschaft und der Laif Foundation ein. Gemeinsam u.a. mit „Freelens„https://laif-foundation.org/ und meiner Agentur Laif machen wir uns stark für eine klare Kennzeichnung von KI Content und ein Label für authentische Fotografie.

Was war Dein bisher größter Flop im Job, und was hast Du daraus gelernt?

Spontan fällt mir da ein, dass ich mal bei einer größeren Produktion eine Kamera vom Rentservice lieh und erst danach merkte, dass die Voreinstellung auf jpg statt RAW war. Für die höhere Auflösung hatte ich das zusätzliche Geld allerdings investiert! Ist natürlich ärgerlich und hat mir gleichzeitig gezeigt: Immer Equipment checken, besonders wenn es ausgeliehen ist!

Ein etwas größeres Learning zum Thema Gesundheit: Viel zu lange und zu oft habe ich mich schwer krank zu Jobs geschleppt! Meine Vorstellung war, „die haben ja MICH gebucht“, „wer weiss wann der nächste Job kommt“ oder „jetzt mal kurz zusammenreißen, danach wieder ausruhen“. Das Arbeitsleben ist allerdings kein Sprint! Dies erforderten Ruhephasen kommen meist nicht von alleine, man muss sie selbst einplanen. Denn Zeiten ohne Jobs bedeutet Akquise und können manchmal noch nervenaufreibender sein! Die Welt geht nicht unter, wenn man einen Job absagt oder weitergibt. Wir operieren nicht am offenen Herzen. Niemand stirbt. Es werden neue Chancen kommen. Die Menschen, mit denen ich am liebsten zusammenarbeite, respektieren, dass ich gesunde Grenzen ziehe und gut auf mich aufpasse. Kein Job ist es wert, seine Gesundheit dafür zu ruinieren!

Tipps

Selinas Tipps für den Nachwuchs

Vernetzt euch! Schon im Studium. Bleibt in Kontakt. Seid interessiert. Nutzt Branchentreffen, tretet in Verbände ein wie Freelens oder den Female Photo Club. Seid kollegial. Tauscht Wissen aus und unterstützt euch gegenseitig. Empfehlt andere für Aufträge, bildet Kooperationen. Selbstständigkeit bedeutet nicht Einzelkämpfer:in!

Erzählt mit Begeisterung von eurer Arbeit. Eure Leidenschaft wird (auf Dauer) ansteckend sein. Wer arbeitet nicht gerne mit Menschen, die lieben, was sie tun?!

Zieht an, was ihr liebt. Verbringt nicht zu viel Zeit mit Projekten, Aufgaben oder Menschen, die euch keine Freude bringen. Es wird euch verbrennen. Belohnt euch für das Erledigen von Shit-Sandwich Aufgaben, lagert unangenehme Themen aus (z.B. Steuer ;-).

Greift nach den Sternen! Denkt groß! Rechnet Rückschläge bewusst mit ein. Trainiert eure Frustrationstoleranz! Stützt euch gegenseitig bei Auftragsflauten. Sprecht einander gut zu. Die Phasen werden immer kommen. Wir brauchen uns gegenseitig! Seid stolz auf all eure Errungenschaften! Feiert jeden eurer Erfolge. Auch die eurer Kolleg:innen. Geteilte Freude ist doppelte Freude!

Nehmt euer Sozialleben, Sport und Freund:innenschaften genauso wichtig wie euren Job. Don’t fall for the hustle culture! Kürzt in turbulenten Zeiten auch mal Arbeits-ToDos raus. Sorgt für ein gutes Reiz-Erholungs-Prinzip. Kognitive und besonders emotionale Reize brauchen mehr Erholung als körperliche. Wie gesagt, immer langfristig denken!

Seid euch eurer Stärken und Talente bewusst! Ihr verkauft nicht eure Zeit, sondern eure Expertise – ein Ergebnis, das Wirkung schafft. Solltet ihr mal unsicher sein (wer kennt diese Phasen nicht?), fragt Menschen, deren Meinung ihr schätzt, was ihr besonders gut könnt, welchen Bereicherung ihr darstellt? Hängt euch diese Zeilen über den Schreibtisch! Sammelt positives Feedback für schlechte Tage in einem Komplimente-Ordner. Denn ihr seid immer ein Mehrwert!

Selina Pfrüner

… lebt in Köln und arbeitet als freie Fotodesignerin, Dokumentarfotografin und Fotojournalistin. Ihr Schwerpunkt liegt auf Portraits und Reportagen für Magazine, Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und Corporate Publisher. Zudem lehrt sie als Fotodozentin an der FH Dortmund. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2017 mit dem 1. Preis des BGW Photo Awards zum Thema Inklusion sowie bereits 2008 mit dem GuJ Photo Award und dem Canon Profifoto Förderpreis für ihre Serie Einbettzimmer, in der sie das Private katholischer Priesterzimmer beleuchtet. In ihrer Diplomarbeit an der FH Dortmund (2010) widmete sie sich dem Thema Downshifting (Lebensumbrüche und Achtsamkeit). Ihr aktuelles Projekt „Munaqabba – über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland“ wird von der Stadt Köln und dem NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste gefördert und als Multimedia-Installation ausgestellt.

Diesen Beitrag teilen via: